"schmittgruppe 31", 9. bis 30. November 2008, Spitäle Würzburg
Sollte es eine Einzelausstellung sein?
schmittgruppe 31, mein Arbeitskonzept schließt ein solches Vorhaben aus. Die Existenz eines Einzel ist nichtexistent. Es gibt heute immer ein davor (DNA bis aus vorzeiten) und ein danach (viele glauben daran) und ein gleichzeitig.
Parallelwelten strahlen.
Physikalisch geht Energie nicht verloren. Das Denken und Handeln ist schlüssig, abhängig vom Davor und wirkt in die Zukunft. Jetzt.
Das Einzelwesen ist Nichts und trägt in sich doch alles.
Wir sind mit einander verbunden. Wird dies bemerkt?

Selbstauflösung und Entgrenzung. Am Tag des Mauerfalls durchaus sinnig. Nicht ich bin ich, sondern ich bin du, du bist ich, bist wir, Vater, Mutter, Freunde, Kinder, Brüder und Schwestern.
Universalien, die Gemeinsamkeiten des Homo Sapiens global gesehen sind erforscht und existieren. Eine Verständigung ist möglich!


Das Gruppengefühl jedoch bleibt eine Sehnsucht, die die künstlerische Existenz hier und heute nur im engen rahmen bedient. Das Gruppengefühl mit der ganzen Welt muss noch installiert werden. Die ganze Welt umarmen, Gefühl des Überschwangs, Grenzüberschreitungen passieren nur temporär. Und werden versuchsweise hier vorgeführt.


jutta schmitt

Jutta Schmitt: „schmittgruppe 31“
Vernissage am 9.11.2008, 17 Uhr im Spitäle in Würzburg


Liebe Frau Schmitt,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

bis Mitte Oktober konnte man in der wunderbaren, von Gertrude Elvira Lantenhammer und ihren Freunden konzipierten Ausstellung „mainseits“ in und um Schloss Homburg auch eine dreiteilige Installation von Jutta Schmitt sehen. Unter dem Titel „Welt“ zeigte sie auf der weit ins Land hinein grüßenden Terrasse oberhalb der berühmten, vom hl. Burkardus als Flucht- und Meditationsort gewählten Grotte zwei bedruckte Fahnen und eine in sich verknotete sogenannte „Nomadenkugel“. Dazu schrieb sie „Vollkommenen Welten gilt unser Sehnen. Verkommenen Welten flieht! Millionen Menschen immer auf der Flucht.“

Ungeachtet ihrer ikonographischen, auch auf den Ort der Burkardusgrotte zu beziehenden Implikationen, musste ich bei der Betrachtung dieser Arbeit
zugleich daran danken, dass Jutta Schmitt eine Künstlerin ist, der ich seit vielen Jahren zwar immer wieder begegne, auf sie aufmerksam werde, mich von ihrem Werk irgendwie angezogen fühle, aber nie zu einer vertiefteren Einsicht in ihr Schaffen gekommen bin.

Es muss wohl bei einem Stadtfest irgendwann in den achtziger Jahren gewesen sein, als sie mir als auf Stelzen laufende, schwarz gewandete Performance-Künstlerin zum ersten Mal aufgefallen ist. 1998 stellte sie als Gast der Gruppe Schweinfurter Künstler großformatige Druckgrafiken im Rathaus der Kugellagerstadt aus. 2002 zeigte sie im dortigen Konferenzzentrum die Performance „Freiheit – halt die Luft an“. Im gleichen, von der amerikanischen Freiheitsstatue inspirierten schwarzen Stelzenkostüm mit ihrer markanten Sternenhaube, ließ sie 2004 im Schweinfurter forum 13 bei Heike und Norbert Kleinlein Rosen regnen.

Trotz solcher und vieler anderer Begegnungen selbstverständlich auch an anderen Orten war Jutta Schmitt als Künstlerin für mich bis heute nicht so recht zu fassen. Der Wunsch, diesen „weißen Fleck“ auf meiner persönlichen Kunstkarte endlich zu schließen, war vielleicht der wichtigste Grund, warum ich gerne zugesagt habe, anlässlich der heutigen Vernissage von Jutta Schmitts Würzburger Ausstellung im Spitäle der vku zu sprechen.

Wenn man sich einem Menschen alleine über dessen Biographie zu nähern versucht, läuft man meist Gefahr, kaum mehr als ein paar dürre Lebensdaten zu erfahren. Bei Jutta Schmitt scheint mir das anders zu sein, denn Sie lebt offenbar ein von ihr sorgfältig inszeniertes Lebenskonzept. Leben und Kunst bilden bei ihr eine Einheit. Äußere Lebensdaten und künstlerisches Schaffen sind bei ihr nicht zu trennen. Oder noch deutlicher: Jutta Schmitt selbst ist ihr wichtigstes Kunstwerk, an dessen Facetten sie beständig aufs neue formt. Vielleicht ist sie deshalb dem Figurentheater, dem Plastischen Theater Hobbit in Würzburg seit Jahrzehnten so verbunden, aber davon später mehr.

Fragen wir also nach Jutta Schmitts Lebensdaten: Geboren wurde sie 1956 in Üchtelhausen bei Schweinfurt. Von 1974 bis 1979 absolvierte sie ein Studium als Grafik-Designerin an der Fachhochschule Würzburg. Johann Nußbächer hat sie damals in die Anfangsgründe der Druckgrafik eingeführt und zumindest zum Linolschnitt hat sie sich bis heute eine große Zuneigung erhalten. In der Regel stellen solche häufig in strengen Schwarz-Weiß-Gesten gehaltene Grafiken bei Jutta Schmitt sehr persönliche Äußerungen dar, in denen sie, wie sie es nennt, alltägliche Zwänge „wegarbeiten“ will.

Verfolgen wir solche Gedanken noch ein wenig weiter: Es sind meist großformatige – für Linolschnitte großformatige – Blätter auf denen sie in lockerer Textur archaisch anmutende Chiffren einer eigenständigen Zeichensprache setzt. Wie gesagt, vielfach druckt sie ihre kleinen Auflagen nur in einer Farbe, häufig in Schwarz und gelegentlich auch in Rot.

Aber, wir wollten ja von der Biographie der Künstlerin reden: 1976 gründete Bernd Kreusser die Hobbit Bühne in Würzburg zunächst als Tourneetheater. Jutta Schmitt ist seitdem dabei und ist an zahlreichen Inszenierungen maßgeblich beteiligt. Selbst wenn es für die gespielten Stücke ein Drehbuch und eine sorgfältig erarbeitete Dramaturgie gibt, so ist Theater nach Jutta Schmitts Verständnis in erster Linie ein sich vor den Augen der Zuschauer vollziehendes spontanes, lebendiges Ereignis: „Theater ist momentanes Geschehen, nicht rückführ- nicht wiederholbar. Leben im konzentrierten Augenblick.“ Als Anerkennung für jahrelange, erfolgreiche Kulturarbeit erhielt diese, seit 1994 als „Plastisches Theater Hobbit“ in einem festen Haus agierende Kleinkunstbühne, im Jahr 2002 den begehrten Kulturpreis des Bezirks Unterfranken.

Mit Theater auf unmittelbare Weise verbunden sind die Performances, die Jutta Schmitt für sich zu einer eigenen Kunstform entwickelt hat. Vielfach läuft sie dabei auf Stelzen und wird dabei schon alleine durch ihre riesenhafte Gestalt zu einem Wesen aus einer anderen Welt. In phantasievolle Gewänder gekleidet gleicht sie dabei den Chiffren auf ihren Druckgrafiken. „Als Gast für einen begrenzten Zeitraum“, so die Künstlerin mit ihren eigenen Worten, „ empfiehlt sich ein spielerischer Umgang mit den Gegebenheiten, um Stauungen, Verknotungen und Verhärtungen zu verhindern. Durchlässigkeit und Flexibilität sind hilfreich.

Ein solcher spielerischer Umgang mit den Gegebenheiten eines Ortes kennzeichnet nicht nur Jutta Schmitts Performances, sondern auch ihre Objekte und Installationen. Performances, die in einen einzigen Augenblick festgehalten sind. Nicht die Kunst tritt vor unseren Augen in Aktion, sondern wir verändern uns im Betrachten eines Objektes und verändern so das Objekt und seine Aussage. Auf geradezu aufregende Weise verbinden sich solche Sichtweisen in den durchsichtigen in fließender Bewegung erscheinenden Mobiles, bei denen Harmonie und Gleichgewicht in eine zwar instabile aber doch ideale Ordnung zu einander gebracht worden sind.

Bei einem derartig ausgeprägten Drang sich auf die verschiedenste Art zu vermitteln, verwundert es nicht, wie groß die Zahl von Jutta Schmitts Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen ist. Der Radius ihrer Kunstprojekte reicht bis in die Mongolei. Bei Durchsicht ihrer Performances und Ausstellungsprojekte fällt, wie gesagt, ein stark emanzipatorischer Ansatz auf; folgerichtig ist sie nicht nur unter anderem Mitglied des BBK sondern auch der Gedok.

In den ausgedehnten Würzburger Studienjahren von Jutta Schmitt war jedoch lange nicht so recht abzusehen, wohin ihre Lebensreise tatsächlich gehen sollte. Von 1979 bis 1989 studierte sie nämlich an der dortigen Alma Julia außerdem Volkskunde, Kunst- und Literaturgeschichte. Sie unternahm zahlreiche Studienreisen und bereiste mit der Hobbit Bühne ganz Europa. Auch auf andere Weise hat sie damals ihren Horizont erweitert. Sie wurde Schülerin von Albrecht Moser, der ihr etwas über Marionetten beibrachte, von Ula Kelsang Dorje, der sie ihr Wissen über Plastik verdankt und nahm Sprechunterricht bei Adelheid Weber.

Und noch in einem ganz anderen, für sie und ihr weiteres Schaffen ganz besonderen Sinn war Jutta Schmitt damals schöpferisch tätig: 1983, 1985 und 1999 gebar sie drei Kinder. Damals zu Beginn der achtziger Jahre scheinen ihre bemerkenswerten, ihre vielseitigen Anlagen den richtigen Nährboden für ihr weiteres Künstlertum gefunden zu haben. Seitdem fließen ihr Frau- und Muttersein stets noch mehr in ihre Arbeit als Grafik- und Performancekünstlerin mit ein.

Sie hat dazu selbst einen kleinen Text verfasst, den ich Ihnen nicht vorenthalten will, weil mir darin so etwas wie das utopische Manifest Ihres Anspruches an sich als Mensch und als Künstlerin enthalten ist: „Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung. Alleine von den Kindern ist letzteres zu behaupten und nur wenigen gelingt es einen solchen Königs-Weg zu verfolgen. Gesellschaftliche, politische, soziale Aufgabe wäre es, aus diesem Weg eine breite Straße zu ermöglichen. Eine Straße des Mitgefühls, der Toleranz und der Liebe. Entscheidend ist die Sicherstellung der menschlichen Bedürfnisse der Kinder dieser Welt, wozu auch seelische Unversehrtheit zählt. Die Übertragung der Macht in die Hände der Frauen dieser Welt wäre ein Versuch wert. Das Weltgeschehen würde auf jeden Fall anders verlaufen. Utopie (Religion ?) ist das, was noch nicht ist, vielleicht auch nie sein wird, aber eine Zielrichtung vorgibt. Es lebe der MAMAISMUS!“

Aus der Auseinandersetzung mit den ersten Kinderzeichnungen ihres damals zweijährigen Sohnes entstand 1985 das Arbeits- und Lebenskonzept der „schmittgruppe 31“, das für Jutta Schmitt bis heute gültig ist. Anregungen aus den ersten Malversuchen ihrer Kinder flossen seitdem ebenso in ihre Linolschnitte ein, wie sie gesellschaftliche und sozialpolitische Aspekte darüber hinaus thematisiert.

„schmittgruppe 31“ versucht das kostbare Gut Zeit, Flexibilität und unsere Unfähigkeit zu sozialem Leben in eine Lebensform einzubringen, in der die eigene Person entgrenzt und Zugehörigkeiten zugelassen werden. Deshalb finden sich in Jutta Schmitts Werken immer wieder Zitate aus Kinderzeichnungen, die sie in ihre Kompositionen hineinwebt. Dieses Zulassen von kindlich offener Naivität ist zugleich ein Versuch zur Wahrhaftigkeit als wichtige Antriebsfeder künstlerischer Arbeit vorzudringen.

Das war nur ein mehr oder weniger zufälliger, ansatzweise strukturierter Versuch, die Biographie einer ungeheuer vielseitigen und engagierten Künstlerin zu zeichnen. Ich habe dabei versucht, mich ihr immer wieder neu von verschiedenen Seiten anzunähern, um am Ende festzustellen, dass es noch unendlich viele unbekannte Facetten zu entdecken gibt. Mir scheint, dass Jutta Schmitt ihr eigenes Leben als Frau und Mutter, aktives Künstlertum inmitten unserer heutigen Gesellschaft mit urtümlichen Formen von Künstlertum verbindet. In einem anderen Kulturkreis würde man sie vielleicht als Schamanin bezeichnen.

Eigentlich sollte ich in die heutige Ausstellung einführen und habe im Grunde genommen nur ganz wenig über die hier zu sehenden Exponate selbst gesagt. Aber das ist ja das schöne an Ausstellungen, dass man sich die ausgestellten Werke auch ansehen kann. Das sehr intensiv zu tun, dazu möchte ich Sie jetzt recht herzlich einladen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

© Dr. Erich Schneider, Obere Heide 50, 97525 Schwebheim, 07.11.08. Veröffentlichung jedweder Art, auch auszugsweise nur mit Genehmigung.


SchmittJutta091108.doc